Ein gutes Leben


Es gab nur wenige Träume, die er nicht erreicht hätte. Gewiss ist es dem Umstand zu verdanken, dass er auf die Welt in einer Familie kam, die ihn stets förderte, bevor sie ihn in die weite Welt entließ. Seine Träume waren nie hochgestochen; warum auch – er hatte immer alles. Als seine Mutter Anfang 90er nicht so viel Geld hatte, wählte er am Verkaufsstand die billigsten Sportschuhe und sagte: „Mama, diese sind genug für mich; sie gefallen mir“. Seine Mutter war etwas überrascht, als sie hörte und sah, dass ihr Sohn viel bescheidener war, als sie immer dachte.

Er strebte nie nach Erfolg und Macht. Er träumte einfach nur von einem guten Leben.

Nun, ist er dabei, alle materiellen Lasten abzuwerfen, allen Ballast von sich zu weisen. Er sucht nicht mehr die äußerst kurzweilige Befriedigung im stumpfen Konsum, dem er doch auch im Laufe der Jahre unterlegen gewesen war. Er jagt nicht mehr nach immer billigerer Ware, die ihm angeblich das Leben einfacher und schöner machen soll. Er meidet die mit minderwertiger Ware überfüllten Kaufhäuser, die ihren Reiz für ihn längst verloren haben. Er weiß nicht, wann und was das auslösende Moment war, das ihm alles, was sich in der Gesellschaft abspielte, abscheulich wurde. Vielleicht waren es die Lieder „Ich leb mein Leben„ und „Die aus´m Osten“ von Eva Maria Hagen, die ihm bewusst machten, dass im Osten die Macht stinkt und im Westen das Geld. Man ersäuft überall die Kätzchen, die man nicht braucht. An Schweinehunden mangelt es nirgendwo…

Heute erntete er in seinem Garten im fahlen Novembersonnenschein ein wenig Brokkoli, Rosenkohl und einen kleinen Paprika. Er erfreute sich an den grellen Farben der essbaren Blüten von Kapuzinerkresse. Heute fährt er Fahrrad fast bei jedem Wetter. Er wünscht sich keine Geschenke mehr, die sein Leben mit unsinnigem Zeug zuballern; vielleicht nur gute Bücher, oder Kuhmist bzw. anderen „Mist“, der sein Gemüse düngt. Er genießt seine Zeit mehr, da er die Regel des stupiden Arbeitsmarktes nicht mehr befolgt. Er lässt sich nicht mehr die Angst einjagen, dass man sich für alle Lebenssituationen versichern muss. Er besitzt keinen Fernseher, keinen Bügeleisen, keine Kaffeemaschine, keine Stereoanlage, kein Auto. Er hat nicht viel im Sinne der heutigen perversen Gesellschaft. Er verbringt oft seine Zeit lesend auf einer Caféterrasse oder geht schwimmen und spazieren; oft am Rhein oder im Wald. Klavier und Querflöte kann er immer noch nicht spielen, aber er lernt diese Instrumente weiter. Er hat es geschafft, und kaufte ein kleines Landhaus, das sehr reparaturbedürftig war, aber dieses Haus brachte ihm den mentalen Wohlstand. Er ist zur Hälfe Selbstversorger. Er liebt seine Pflanzen und die frische Luft. Seitdem er nur zwanzig Stunden pro Woche arbeitet, macht ihm die Arbeit Spaß. Er hat heute alles, wovon er träumte.

Er hat ein gutes Leben. Er ist reich an Leben.

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14 Kommentare

  1. Ich ziehe meinen Hut nehmen, dass er das geschafft! Ich drücke mein tiefe Respekt für ihn aus…. für diese beste Beispiel… Er hat wirklich am besten Leben! Das ist hinreißend, wenn ein Man ihr leben schätzen und der Schönheit der Natur genießen kann… Danke!

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  2. Jeder kleine Schritt in diese Richtung ist es wert gegangen zu werden, vielleicht nicht jetzt, vielleicht nicht morgen, aber irgendwann ist man am Ziel. Nur weiter so!
    Seit fünf Jahren haben wir den kleinen Hof und den Garten, der Nutzgarten wird immer wichtiger und noch heute habe ich Rosenkohl und Topinambur aus dem Nutzgarten geholt, während in meinem Korb schon fünf Eier für das Abendbrot warteten. Noch sind wir nicht komplett vom Netz und Konsum weg, aber es geht .. in vielen kleinen Schritten.

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