Das Abbild unserer Gesellschaft

Ich verlernte nach und nach das Zuhören. Ich schalte ab, wenn es jemand versucht, mir detailliert von etwas zu berichten. Meine Gedanken sind woanders. Ich nicke automatisch und lächele programmiert verlegen. Wenn mein Gesprächspartner mit seinen Diskurs beendet, entsteht schon fast eine gewohnt natürliche Stille. Ich beginne zu erzählen. Mein Gegenüber nimmt meine Rolle ein. Verlegenes Lachen, das Kopfnicken und alle anderen metasprachlichen Elemente beherrscht er längst mit Perfektion.
Kopfhörer und laute Musik. Ich nehme sie nicht mehr war. Sie langweilt mich, da ich sie schon etliche Male hörte. bildBlogIch höre seit Jahren nur die Musik, die ich auf meinem Handy speicherte. Ich besuche Konzerte, die mich langweilen, weil sie für mich zu lang sind. Ich kann mich nicht konzentrieren. Gegenüber sitzt eine junge Frau mit Kopfhörer. Der gleiche Input wie gestern und vorgestern. Sie langweilt sich.
Die Zeitung lese ich nicht; einen Fernseher habe ich nicht. Ich lese nur die kostenlose Tagesschau-App, die an einem Tag nur sieben Artikel publiziert. Ich lese sie nicht alle. Keine Zeit, keine Lust und keine Konzentration.
Ich bleibe jeden Tag zu Hause. Mir fehlen die Ideen. Ich bin stumm, sprachlos, gelangweilt. Ich bin zerstreut, unkonzentriert und müde. Ich bin oberflächlich, programmiert und installiert. Ich bin vollgepumt mit Medikamenten und vollgequalmt. Ich frage nicht mehr nach und ich zweifle nicht. Ich leide nicht mehr und lache blöd über jede Nichtigkeit.
Ich bin das Abbild unserer Gesellschaft.

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