Die Mistel und der Mensch

Vor einigen Jahren, als ich meine Magisterprüfung im Fach Literaturwissenschaft zum Thema Kulturökologie ablegte, war mir nicht ganz klar, welche Bedeutung dieses Thema für die Literatur- und Kulturwissenschaft hat. Heute weiß ich viel besser, wie die Natur unsere Kultur prägt. Ohne die Natur gäbe es keine Kommunikation und mit einer devastierten Natur gibt es leider nur eine devastierte Kommunikation. Die Zerlegung der Natur in Fragmente führte zu einer fragmentierten Sprache. Die öden zerstörten Landschaften oder ihr Nichtvorhandensein verödeten unsere Gefühlsregungen. Die immensen Einschnitte in unsere Umwelt zerschnitten unsere Traditionen und unsere Verbundenheit mit unserer sozialen Umgebung. „Die Mistel auf ihrem Baum lebt nur in Symbiose mit ihm; wird er zu stark geschädigt, nimmt auch sie Schaden.“ (P. Finke: Kulturökologie in Konzepte der Kulturwissenschaft)
Wir nennen oft diese Symbiose Schmarotzentum der Mistel, wobei wir die Rolle dieser Pflanze nicht kennen und somit ihre Bedeutung völlig ausblenden. Ich bin sicher, dass wir aus der Sicht der Mistel diejenigen sind, die sich oft an der Natur bereichern, ohne etwas zurück zu geben.
Als Kind schüttelten wir von Birkenbäumen abertausende Maikäfer runter und wir standen in einem wahren Maikäfer-Regen da; lachend und schreiend. Unsere Kinder haben diese Möglichkeit nicht mehr und wir fragen uns, warum sie lieber an den Computern kleben? Anfang März waren unsere Städte bedeckt vom Huflattich. Ein gelbes Meer, das wir für die Teemischung von der Oma pflückten. Letztes Jahr fand ich acht Blüten dieser Pflanze. Es gibt sie kaum, oder ich entfernte mich von der Natur und verpasse immer wieder den richtigen Moment? Versucht doch nächstes Jahr diese Pflanze zu suchen, oder heute drei Leute, die sie kennen.
In der Slowakei gibt es (oder es gab) einen schönen Brauch: Man soll am 1.Mai jemanden unter einem blühenden Kirschbaum küssen. Versucht es doch nächstes Jahr. Ihr werdet enttäuscht sein. Aufgrund der globalen Erwärmung werdet ihr ein Jahr später schon am 1. April zu den Kirschbäumen ziehen und daher viel früher küssen müssen. Was passiert dann wohl mit den allen Gedichten, die geschrieben worden waren: „Es war der erster Mai, Es war die Zeit der Liebe…“ (K. H. Mácha)
Und der Martin, der fast immer auf einem weißen Pferd kam. Ja, es hat geschneit, mal paar Tage früher, mal später. Werden unsere Kinder sein Pferd weiß malen? (Also in dem Falle, sollten sie überhaupt malen.)
Werden uns bald unsere Kinder fragen, was ein Schneemann sei, was ein zurückkehrender Storch? Oder werden nun unsere Kinder vom Hochwasser, von der Dürre und vom Sturm reden?
Unsere Natur verändert sich; sie veränderte sich im Laufe der Zeit immer. Die Veränderungen unserer Kultur sind daher nicht zu vermeiden und sogar spannend. Verschwindet die Natur jedoch, verschwindet zuerst unsere Sprache, unsere Kommunikation, Kultur oder Religion. Es verschwindet unsere Grundlage und wir sterben wie eine Mistel, die ihren Baum verloren hatte.

8 Kommentare

  1. Sehr schön geschrieben, aber so traurig. Ich mache mir oft über diesen Verlust „unseres Baumes“ Gedanken und darüber, wie viele Menschen das gar nicht bemerken… Toll, dass es noch mehr gibt, die sich darüber Gedanken machen. Im Endeffekt können nur wir etwas daran ändern!

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  2. Hallo Martin!

    Ich bin so froh, dass ich das als Kind alles gesehen und erlebt habe. Das verdanke ich meiner Mutter und meiner Oma mütterlicherseits.

    Meine Oma hat sehr naturverbunden gelebt, hatte auch einen Garten. Bei ihr war ich immer in der Natur unterwegs, am Nachmittag gingen wir in den Wald und ich habe mit den Rinden und Zapfen am Boden gespielt.

    Meine Liebe zur Natur hat ihre Wurzeln in dieser Zeit.

    lg
    maria

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  3. Unzählige Male lese ich diser Text, es gibt keine Worte, wie schön und rührend der… Danke Martin für die Erinnerungen unserer kindheit… und bin ich auch so traurig, dass die neue Generation es nicht mehr sehen kann…

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  4. Ich möchte mein Kommentar beischreiben… das ist mein Schreie der Seele… Ja,.. ich habe auch diesen gelbenes Meer aus Huflattich erinneren… und das Zirpen den Schmieden und spielender miteinander Gottesanbeterinnen. Ich erinnere mich selten Schmetterling in den rotes Buch bereit in dort Zeit unseres Kindheit eingetragen wurden. Sehr schade… wahrscheinlich geben sie nicht…Durch der Zeit die Menschen diese Schönheit der Natur herum nicht mehr feststellen, nicht mehr merken, weil sie etwas sehr wichtig vergeßen und verloren hatte, ohne die können sie nicht der Natur genießen. Das ist Liebe…
    „Nur wenige sind imstande sogar relativ genau zu bestimmen was dieses Gefül bedeutet und wodurch es sich von den anderen menschlichen Empfindungen unterscheidet“. Aus diese Bedeutung alles folgen… Woher die Kinder weißen werden, was die Liebe ist? Was die Natur ist? Wie können sie außerdem etwas gutes in sich aufzunehmen, wenn die Eltern das nicht zeigen und nicht geben, weil nicht haben. Sie denken nur über das Geld und wie das verdinnen. Wofür sie leben? Sie vergeßen.. Sie haben viele Zeit an der Arbeit und zu Hause mit dem Computer verbringen, vergeßen sie oft über ihre Kinder, über ihres Partners und über sich selbst auch.. Sie leben unbewusst, als Maschine. Ohne Gefüchlen können sie nur die Naturschätzen auszuhutzen. Wie können sie etwas schön für ihre Kinder zeigen (zbs: schönes Gefühle der Liebe in der Beziehungen, verbindung mit der Natur),wenn sie innerhalb das nicht haben. Und danach der Generation von Sklaven wachst mit egoistischen Bedürfnisse und nur mit dem Wunsch, wie kurzfristigen Vergnügungen zu haben. Unsere Natur und unsere Kultur verschwinden und zerstoren. Ich habe bemerkt, dass 90% die Menschen meines Land so leben. Die Kinder waißen nicht andere leben. Das mache mich so traurig… Und die leute beschwere sich oft auf ihres Leben, aber verendern sich möchte nicht..

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