Ich trage die Zeit in mir

Ich werde von der Zeit, in der ich lebe, geformt. Ich werde stark von der Zeit, die ich mir für mich und für die anderen nehme, umgestaltet. Ich bin die Summe meiner Taten und meiner Gedanken. Ich bin zusammengesetzt aus 356 Tagen. Ich bin ein Ganzes, das aus Glück und Traurigkeit besteht. Ich bin ein Ganzes geworden, weil ich gelebt habe. Ich wurde von den Weltnachrichten beschossen und ich ließ mich von unserer unter dem Wirtschaftssklavenjoch verharrenden und darbenden Regierung beschießen und bescheißen. Dennoch bin ich glücklich. Ich bin ein Stück Lanzarote und ein Stück ihrer Vulkane. Ich bin nun genauso grün und schwarz und rot wie diese Insel. Ich trage Manrique in mir und seine Kunst. Mein Haus ähnelt seinem. Ich bin unbeschwert und fast noch intakt wie Lanzarote. Bin flach, weiß und meine grünen Fenster sind geöffnet. Ich bin ein Teil von Stefan Zweig. Ich bin ein Europäer und ich besitze meine Erinnerungen ebenso. Und sie sind zahlreich, weil ich bewegt lebe. Ich trage die Ungeduld des Herzens in mir; fühle Mitleid, das mich kaputt macht. Und ich habe Angst vor dem Krieg, ich habe Angst, weil niemand die Anzeichen für einen Krieg sieht, oder sehen will. Ich trug Stefan Zweig durch dieses Jahr und jetzt trägt er mich in das nächste Jahr und er trägt meine Gedanken. Ich bin die Ebene der Südslowakei und die Ebene von Nordungarn. Und ich fühle große Grenzen in mir, so wie die Donau die große unüberwindbare Grenze bildet; wären die Brücken nicht da. Ich trage den Weinberg meines Vaters in mir und ich sehe die Weinreben wachsen; ich wuchs mit ihnen. Das kalte Wasser des Brunnens erfrischte mich und gab mir Hoffnung. Ich trage die Sonne dieses Weinberges in mir und die Hitze. Ich spüre das Meer des Sommers und in mir schwimmt sein Müll. Und die unzähligen grünen und auch die abgestorbenen Algen sind in mir, in meinem Körper. Sie machen mich wahnsinnig. Und auch der Lärm und die Autos des Mittelmeers machen mich ratlos. Der Tod ist in mir; der Tod des Mittelmeers. Ich war in Bewegung, ich kam meinem Vater näher, ich kam der Musik näher. Ich experimentierte und wagte. Ich trage Schwarzwald in mir und ich spüre Köln und den Rhein. Ich las und ich lernte. Ich war nicht tatenlos; und sprachlos war ich auch nicht. Ich sah so viele Landschaften und träumte. Ich träumte und vergaß dabei nicht, dass meine Träume Wirklichkeit werden. Ich bin glücklich. Es war ein schönes Jahr.

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