Gegen die Stille

Es dämmert langsam. Heute sah ich nur zwei Bienen. Gestern nahm ich mir vor, alle Insekten zu zählen, die ich sehen werde. Als ich beim Frühstück auf meinen Balkon eine kleine Biene sah, dachte ich, es wird kein schlechter Tag. Und dann sah ich noch eine auf meinem Weg zur Arbeit. Sonst sah ich nichts. Die Bienen sterben; auch die anderen Insekten sterben und wir schauen diesem Sterben zu. Und Umweltaktivisten tummeln sich nur im Internet. In meiner Nähe ist keiner. Bin umgeben von interesselosen Menschen, unsere Wildblumenwiese ist die einzige weit und breit. Unsere Freunde bevorzugen eine glatte tote Rasenfläche. Andere Wiesenblumen sehe ich nur im Internet. Ein Nachbar kippt fleißig Rattengift und Ameisengift in alle Löcher, die er entdeckt; unwissend, dass dieses Gift irgendwann auf dem Teller seiner Enkelkinder landet. Ich bin im Begriff zu sterben, wie alle anderen; ich sterbe langsam. Heute Nacht träumte ich von Chemotherapie, die man mir in meine Vene spritzte. Ich verlor schon nach fünf Minuten alle Haare. Wir vergiften alle Lebewesen; alle kleinen Lebewesen sind uns seit vielen Jahren Feinde. Wir bekämpfen sie jeden Tag aufs Neue; wir bekämpfen uns. Die Bienen sterben. Noch einzelne fliegen in ihrer Einsamkeit durch die Gegend. Sie sind wie wir. Einsam. Unsere Weggefährten finden wir nur noch im Internet. Still ist es um uns geworden; still ist es in uns geworden.

Wir pflanzten letzte Woche einen Baum und suchten Nachahmer. Niemanden fanden wir, der mit einer Idee käme. Wir pflanzten auch einen Rhododdendronbusch, damit sich unter ihm ein paar Insekten einsiedeln. Wir machen weiter; gegen die Stille; für unsere Welt. Nächste Woche pflanzen wir zwei weitere Bäume; trotz Trump, trotz unseren müden Nachbarn; trotz der überall um sich greifenden Lethargie. Wir lassen uns nicht von der grünen Landschaft täuschen, die wir sehen. Es ist eine tote Landschaft. Sie wird in Fachkreisen “grüne Wüste” genannt. Wir wollen mehr. Wir leben im Wohlstand. Mit Wohlstand meinen wir nicht nur die finanzielle Absicherung, die wir genießen. Wir sind reich an Bildung und Wissen; reich an Freizeit und Mut, etwas zu bewegen. Wir dürfen nicht verzweifeln, wir müssen weitermachen. Wir haben keine Kinder. Wir tun es aber für die Kinder der anderen. Wir lassen uns nicht entmutigen von den Plastikbergen in Badezimmern unserer Freunde; wir werden nicht verzagen wegen der klinisch toten Vorgärten unserer Nachbarn. Wir kehren zurück zu der Natur und helfen ihr, sich zu erneuern. Wir sind reich. Wir sind wissend und wir wagen es. Wir vertreiben diese Stille, die überall herrscht. Wir bleiben nicht sprachlos, nicht tatenlos. Wir schreiten voran; auch allein, wenn es sein muss.

 

7 Kommentare

  1. Ich betrachtete gerade meine Erdbeeren und sah dabei eine Biene aus der Erde daneben kriechen, da musste ich wieder an diesen Eintrag denken.

    Ich frage mich, wie man Leben definiert, denn du schriebst, dass du und wir sterben. Nun würde ich es nicht so drastisch formulieren, denn ich sehe zwar all das, was du geschrieben hast, aber ich sehe auch wilde Wiesen und Wälder. Insekten habe ich auch so einige heute bemerken dürfen. Und dennoch kann ich dir nicht widersprechen. Es gibt eine Entwicklung weg vom Leben. Mir scheint es sogar nicht mal mehr abwegig, dass der Mensch selbst ohne Insekten „überleben“ könnte. Die Suizide in jener grauen Welt lassen sich über eine ständige Zuführung von Antidepressiva steuern und da befinden wir uns gedanklich schon bei Bradbury und seinem Werk „Fahrenheit 451“. Ich weiß natürlich nicht, wie sich die Gesellschaft noch transformieren wird, ich sehe aber auch immer wieder, dass es so viele Menschen gibt, die erfolgreich dagegenhalten ohne dass sie es als Anstrengung empfinden würden. Mal ein kleiner Vorschlag zur Rebellion: Warum streuen wir nicht in den Parks Wildwiesensamen und lassen uns mal vom Ergebnis überraschen. 🙂

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    • Die Sache mit dem Sterben ist eine Übertreibung, aber wenn ich denke an die vielen! Krebsfälle in meiner Umgebung…. Blumen streuen im Park: wird meistens alles abgemäht, bevor es blüht, ich versuchte es viele Male:( und ich sehe natürlich auch Insekten in meiner Umgebung, aber es wird immer weniger, und die Zahlen an Artenvielfalt in den Fachpublikationen immer katastrophaler:(

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    • Und Ben, als ich Kind war, gab es Wiesen voll von Margeriten, alles war voll von Huflattich im März, im Juni haben wir Kinder Birkenbäume geschüttelt und „es regneten“ wortwörtlich Junikäfer auf uns… das alles gibt es nicht mehr… deshalb sollte jeder von uns, in seiner Umgebung etwas tun, und vor allem weniger konsumieren.

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      • Die Welt hat sich diesbezüglich absolut verändert, das sehe ich ja auch auf meine Kindheit bezogen. Wie wir den Konsumwahn stoppen können, darüber bin ich mir jedoch nicht im Klaren. Die Menschen wissen, dass ihr Zeug von Kindern genäht wird und dass die Menschen sich dabei vergiften und dennoch schreckt es nicht vom Kauf ab. Die Empathie reicht also nicht einmal mehr für Menschen, von Tieren und Insekten ganz zu schweigen. Vielleicht ist es eben auch an uns, jene Zeiten der Kindheit immer mal wieder zu beleuchten. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich mit Freunden in einen Heuspeicher eingestiegen bin und dort gespielt habe oder wie wir in den angrenzenden Wald oder zu den Seen geradelt sind. Da sind viele schöne Erinnerungen, die ich in meinem Blog auch veröffentlichen sollte. Solange die Leute Lust auf die Schönheit der Natur behalten und sie besuchen, gibt es aus meiner Sicht noch Hoffnung. Zumindest reduziert es die Zeit, in der sie mit Werbung vollgebombt werden und sich daraufhin den neuesten Mist kaufen müssen.

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  2. Hallo Martin,

    ich bin davon überzeugt, dass die Natur den längeren Atem hat. Arten in Flora und Fauna können sich bis zu einem bestimmten Grad anpassen. Auch wenn heute wirklich vieles in der Natur im Argen liegt, lasse ich mich davon nicht unterkriegen. Versuche an die Kraft der Natur zu glauben und dafür zu schreiben und zu handeln. Mir gibt die Natur auch viel Kraft zurück. Das wünsche ich Dir auch.

    Paul vom oekobeobachter

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