Die verlorene Suche nach einer Heimat

Und dann kehrst du um und bist wieder in deiner kleinen Wohnung, in deinem Zimmer und dein Herz blutet, rote Schmerzensströme verlassen es und fallen auf deine Teppiche, für die Ewigkeit sichtbar als Erinnerung an deine Heimatsuche. Und da du ein Träumer bist, bist du davon überzeugt, dass dein Herz viel mehr als das der anderen Menschen schmerzt, dass dein Herz größere Qualen erleidet, nie dagewesene, nie gefühlte und nie erzählte.

Ich begab mich auf die Suche nach meiner verlorenen Heimat. Ich wollte meine alte Heimat wieder finden, sie wieder lieb gewinnen. Und sollte dies nicht gelingen, wollte ich eine andere Heimat finden. Der Träumer braucht oft nur seinen Blick zu weiten, eine Hand auszustrecken oder nur die Augen zu schließen und er gelangt mit einer überraschenden Leichtigkeit zu einem Landstrich, der wie eine Heimat anmutet. Ein Träumer scheitert jedoch genauso schnell, da seine Welt irgendwo dort oben schwebt, über den Städten und den Wäldern.

Man findet garantiert eine Heimat, sogar mehrere, wenn man die Suche alkoholisiert. Bunte Landschaften erstrecken sich plötzlich vor uns, liebevoll gestaltete Räume und gepflegte Gärten laden uns ein, Heimat für uns zu sein. Am nächsten Tag, aufgewacht zwischen zerwühlter Bettwäsche, ist unsere am Abend gewonnene Heimat nicht mehr vorhanden. Wir greifen nach ihr verzweifelt mit unseren müden Augen, strecken unsere Hände nach ihr und sie? Verschwunden, nicht mehr greifbar und nicht mal vorstellbar.

Und dann näherst du dich deiner Heimat. Du hast München verlassen. Traurig, dass du keinen Drang mehr verspürst auf dem Marienplatz zu verweilen. Verzweifelt, dass auch diese Stadt nie deine Heimat werden kann. Du fährst weiter und dann werden die Spitzen der Kirchen, die in der Landschaft ruhen immer zwiebelförmiger und du spürst schon deinen Ursprung, die Formen deiner Kindheit und die Ruhe der Heimat.

Ich sitze fest in einem geistlosen Kurort. Er ist ein Zwischenstopp in meine einstige Heimat. Ich kann diesen Kurort noch nicht verlassen. Ein Mal durchatmen will ich, noch ein Mal klare Gedanken fassen und noch einmal Kräfte sammeln, um dieses Mal wirklich in meine Heimat zurück zu kehren. Eigentlich erwartete ich Berge hier um mich herum. Anstatt dessen ist dieser Kurort in verdorrte Maisfelder eingefasst. Ich könnte abreisen und einen neuen Ort auf meinem Weg suchen. Wo soll ich hin, wo mir gerade alles geistlos erscheint? Nächste Buchhandlung ist gefühlte zweihundert Kilometer entfernt, nächste Konditorei direkt unter mir, und neben mir, und hätte man noch über mir einen freien Raum, wäre drin bestimmt ein Eiscafé. Wie gesagt ich bin in einem Kurort. Die Menschen kurieren sich hier mit fünf Sahnetorten und drei Eiskaffes tagsüber und am Abend mit Schnitzel, Pommes, Bier und Wein. Dazwischen gehen sie noch in die Therme in das Thermenrestaurant und dann pennen sie im warmen Wasser. Und ich mittendrin – heimatlos.

Geistlos sind auch die zwei Betonkirchen. Hässlich, verlassen und störend. Zum Glück eilte der Efeu den schäbigen Fassaden zur Hilfe und bedeckte ihre Schäbigkeit. Und niemand kommt auf die Idee, die Kreuze abzumontieren und sie auf die Fassaden der Konditoreien festzunageln. Dann wären unsere Kirchen wieder voll und lebendig. Oder man könnte die ganzen Torten mit vollen Eimern von Schlagsahne in die Kirchen karren und die Menschen würden dem Duft nach Zucker folgen und irgendwann vielleicht auch von selbst Halleluja schreien. Anstatt einer Hostie gäbe es natürlich die kleinen kalten Windbeutel.

Ich besuche zwei österreichische Städtchen dort drüben auf der anderen Seite des Inns. Ja, schnuckelig sind die Eiscafés dort, sonst, egal wo ich hinschaute eine müde unerträgliche Langeweile.

Diesen Landstrich habe ich als Heimat verloren. Für immer, verunstaltet von uns – den Menschen. Ah ja, und überall verdorrte Maisfelder. Die Landschaft geistlos, traurig – verunstaltet.

Ich habe keine Kraft mehr, weiter zu fahren. Ich sehe plötzlich keinen Sinn darin, sich langsam meiner Heimat zu nähern. Je näher ich komme, desto schwächer werde ich. Ich trample mit den Beinen und schlage mit den Armen wie mit den Flügeln, um mein Ziel zu erreichen. Meine Heimat schießt aber gegen mich, sie trampelt mit den Füßen und schlägt mit den Armen noch heftiger als ich. Sie stoßt mich ab, sie verweigert sich mir.

Ich kehre um. Ich werde nie ankommen. Ich werde nicht das kalte graue Grab meines Vaters suchen und die ausgedorrte Erde drauf berühren. Ich werde wieder nicht meine Mutter umarmen und sie küssen. Ich bin so weit, in einer längst anderen Welt.

Meine Heimat ist wieder mein Zimmer und mein Bett. Hier verkrochen spüre ich etwas Glück. Geborgen, verborgen und auch begraben.

Und wenn deine Heimat dein Bett wird, ruhe dich aus. Schöpfe neue Kräfte, bündele sie und bereite sie auf eine neue Suche vor. Du kommst vielleicht an. Du scheiterst wieder. Du wirst träumen und dein Herz wird möglicherweise rote Schmerzensströme auf deine Teppiche fallen lassen.

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