Mein Leben nahm dann doch noch adelige Züge an. Es ist doch kein Zufall, dass ich im Moment als Gemälde in Sankt Petersburg hänge und gleichzeitig hänge ich in Baden Baden rum. Ja, irgendwie habe ich es geschafft, dass es jetzt ein echtes Ölgemälde von mir gibt, obwohl ich noch nicht in dem Alter bin, in dem solche Bilder in Auftrag gegeben werden. (Die einzige Voraussetzung: man hat Geld und man ist eitel und selbstverliebt) Ich erlangte auch keine besondere Berühmtheit, die mich automatisch auf ein solches Gemälde katapultiert hätte. Ja, ich habe es geschafft, zu hängen in Sankt Petersburg und rumzuhängen in Baden Baden.
Die Voraussetzungen für die Ausschüttung von Glückshormonen sind gerade also gar nicht so schlecht. Wie ich es nach Sankt Petersburg schaffte, wird der Leser dieses Textes zunächst nicht erfahren. Nach Baden Baden brachte man mich mit einem Minibus und nun bin ich da; in einem durchschnittlichen Hotel mit wohlklingelndem Namen. Ich floh vor dem Mann, der auf dem Gemälde zu sehen ist. Ich hatte Angst vor ihm. Ich wollte nicht, dass er weiter immer das gleiche Spiel spielt. Ich musste nach Baden Baden, weit weg von diesem Mann, der da nicht mehr frisch-ölig, sondern trocken-matt von der Leinwand schaut; der da für alle Ewigkeit hängt. Dieser Mann – das bin ich. Ich sitze auf einer Wiese und spiele virtuos Cello. Rechts und links wächst das Getreide – flammig rot; heiß-fressend; wärmespendend-grausig. Weit und breit ist niemand zu sehen; eine erschreckende Menschenleere; eine erlahmende helle Nacht beschäftigt mein Gehirn, das all die Informationen in die Hände, die die Befehle des Gehirns musikalisch darstellen, leitet. Es ist eine disharmonische Musik, die ich da spiele; es ist eine zaghafte Musik. Glücksmomente und deren Ausbrüche werden von Ängsten abgelöst; der brennende Wille erklingt und verklingt und an seiner Stelle treten leise Töne der willenlosen Betäubung. Ich bin das – auf diesem Bild. Es ist erschreckend mich so zu sehen, mich hängend zu betrachten, mich hängen zu wissen. Und gleichzeitig erfüllt mich das mit Stolz und mit Glück, gemalt worden zu sein, mit viel Zärtlichkeit dargestellt und genauso aufgehängt. Nun, ich will ein anderer sein, ich will anders spielen, ich will anders leben und deshalb bin ich jetzt in Baden Baden. Ich durchstreife die Wälder in der Suche nach mehr Licht und mehr Erkenntnis. Ich vertiefe mich in die Meditation in der Hoffnung auf Ausgeglichenheit. Ich lasse mich in den Thermen vom Wasser umhüllen – als Schutz vor Scheitern. Ich faste, ich lese, ich betrachte die Kunst und denke nach. Ich bin dabei mich zu erneuern, mich neu zu erfinden, mich ganz tief und nachhaltig zu formen; ich bin dabei zu leben, zu träumen; ich bin auf einem anderen Weg und vielleicht auch deshalb wurde ich gemalt, mit Ölfarben für immer gemalt. Vielleicht bin ich jemand, der deshalb gemalt wird, weil er sich bewegt, weil er lebt, weil er sich hasst, weil er seine Fehler demütig zugibt. Vielleicht deshalb hänge ich nun in Sankt Petersburg und vielleicht deshalb suche ich einen Weg in Baden Baden, erfinde ich mich hier neu, denke über mich nach. Ich bin verortet, ich war immer schon verortet. Ich komme vielleicht an.
Vielen Dank für das Bild Anastasia, Sankt Petersburg.