Auf dem Olavsweg

Geh nie auf eine Insel, um dort dein Glück zu suchen, wenn du zu Hause nicht glücklich bist. Das Meer, der Sand und die herrlichen Aussichten bringen dir keine einzige Stunde der Glückseligkeit. Alles, was dich bedrückt, wird dich ebenso auf deinem Weg begleiten. Die Insel, die du dir erträumt hattest, wirst du nicht finden. Das Salz wird in deine Wunden dringen und die Nächte verbringst du schlaflos genauso wie zu Hause. Du wirst scheitern und dennoch…

Und doch wirst du es immer wieder versuchen. Du wirst versuchen zu fliehen, zu laufen und dein Leben zu ändern. Du wirst neue Herausforderungen des Lebens annehmen wollen und annehmen müssen. Du wirst kämpen und viele Kämpfe verlieren müssen, um diesen einen Weg zu gehen; überhaupt zu wagen, ihn zu gehen.

Oslo, den 5. August 2019

Ich bin unaufgeräumt wie Oslo. Die Straßen und Gehsteige sind in einem desolaten Zustand und nach meinem Geschmack viel zu schutzig. Die Stadt wirkt aber sehr entspannt. Diese Entspannung brauchte ich nach den drei harten Stunden auf dem Frankfurter Flughafen. Eine Hölle waren sie. Der Preis, den für den Fortschrittt alle zu bezahlen haben. Immer größer und immer schneller, nein, ein solcher Weg ist entschieden der Falsche. Ich laufe zur Oper. Sie beeindruckt mich nicht besonders, obwohl sie als das architektonische Meisterwerk gepriesen wird. Ihr Dach ist begehbar, was ich genießen kann. Eine graue Wolkendecke über dem dunklen Fjord von Oslo überrascht mich nicht. Ich sehe sofort die vielen Bettler auf den Straßen. Auch hier ist das Phänomen der Umverteilung von Reichtum sehr relativ. Ich glaube längst nicht an einen Staat, der für alle Bürger sorgt; sie auffängt, wenn sie fallen. Ich schlendere durch die Straßen und weiche den vielen kleinen Baustellen auf den Gesteigen aus. Ich bin glücklich. Autos fahren auf den Straßen kaum. Ich kann es kaum erwarten, mich auf den Weg nach Trondheim zu machen. Großstädte ziehen mich nicht mehr an. Sie geben dem Menschen nicht das, was der Mensch braucht. Sie betören dich, sie wickeln dich in Träumereien ein, um dich dann später fallen zu lassen. Oslo wirkt ruhig und harmlos, aber auch diese Stadt schlägt dort zu, wo du es nicht erwartest.

Oslo, den 6. August

Wir besuchten das Pilgerbüro. Wir sind dort die einzigen Pilger. Wir werden von einem netten Mann sehr gut beraten und erhalten unsere Pilgerpässe und den Reisesegen. Dass ich laut das Vaterunser beten muss, ahnte ich nicht. Es war eine schöne Begegnung und ein sehr angenehmer Beginn unserer Pilgerreise. Dann ein kleiner Ausflug mit einem Boot zum Völkermuseum und quer durch die Stadt zum Eduard Munch Museum. Mein erstes telefonisches Gespräch auf Norwegisch, um zwei Betten in einer Pilgerherberge außerhalb von Oslo zu reservieren. Ich verstand nicht viel, was die Dame am Telefon sagte; nur dass sie morgen nicht zu Hause sei, aber wir sollen… Na ja, sie hat zwei Betten noch frei und wir dürfen kommen. Ich bin trotzdem stolz auf mich, da ich kein einziges Wort auf Englisch gesagt habe.

Ich habe Angst vor Regen. Ich trage viele Last mit mir. Ich habe sie von zu Hause mitgebracht. Ich will sie loslassen und ich muss sie loslassen. Ich bin wieder mal auf einem längeren unbekannten Weg. Ich habe Angst vor Scheitern. Ich darf nicht scheitern. Ich bin neugierig und bereit meinen Rucksack nach und nach leichter zu machen. Ich habe Angst vor Komfortverlust. Ich werde diese Angst überwinden müssen, wenn ich in vier Wochen am Nidaros Dom in Trondheim ankommen will. Ich habe Angst vor Kälte und stundenlangem Lauf durch Einöde. Ich muss mir diese Einöde mit meiner Phantasie bunt malen. Ich muss wieder konzentrierter denken, was ich wieder mal in letzter Zeit verlernt habe. Ich muss schlafen lernen; tief schlafen lernen. Ich muss die Kraft aufbringen, nicht aufzugeben. Ich muss die Kraft aufbringen zum Glück zu laufen.

Ich weiß es nicht, ob es mir gelingt, euch auf eine spannende Reise mitzunehmen. Ich weiß nicht, ob ich unterwegs schreiben kann. Auf gehts; auf dem Olavsweg von Oslo nach Trondheim.

2 Kommentare

  1. Vielen Dank für deine Gedanken. Solch nachdenklichen Reiseberichte sollten wir Menschen häufiger schreiben und lesen. Sie regen zum Nachdenken an und lassen uns wachsen.

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