Nicht nur Olav Haraldsson, der den Grundstein für ein christliches Reichskönigtum auf dem heutigen Gebiet Norwegens gelegt haben soll, sondern auch viele andere Könige strebten nach Macht und Anerkennung. Viele von ihnen zitterten ihr Leben lang um ihre Macht, eingesperrt in kalten Festungen, blutige Kämpfe führend, von Krankheiten heimgesucht und insbesondere hier in Norwegen war es sicherlich nicht ganz einfach die grüne Weite zu vereinigen, zu beherrschen und zu erhalten. Ich wollte auf jeden Fall nie ein König gewesen sein, und schon gar nicht der König von Norwegen im ausgehenden 9. Jahrhundert. Ich hätte wahrscheinlich irgendwo in Christiania (heute Oslo) „hocken“ müssen, und es hätte mich unglaubliche Kraft gekostet, mein ganzes Reich zu sehen, geschweige denn zu beherrschen. Die Anstrengung, von Christiania nach Trondheim durch die Wälder und kahle Berge zu ziehen, hätte ich wahrscheinlich nicht überlebt. (Und überall lauerte ein Feind, der nach meinem Gold, meiner Macht und sogar meinem Leben getrachtet hätte. Olav Haraldsson starb 1030 auf seiner „Schwertmission“ auf dem Schlachtfeld in Stiklestad. Also echt, nein, danke.) Wenn schon ein König, also versteht mich nicht falsch, es muss wirklich nicht sein, dann wollte ich der König von einer kleinen Inselgruppe im Indischen Ozean sein. (Drei vier kleine flache Inselchen hätten mir damals im Mittelalter schon gereicht; Qualität vor Quantität. Leichte Meeresbrise bei 24 Grad Celsius; selbstverständlich konstant. Nächtliche Abkühlung auf 17 Grad Celsius.) Und mein Inselreich hätte damals niemand angreifen wollen. Zu klein, zu unbedeutend und viel zu weit vom Schuss.
Nun, ich war nie ein König und bin es immer noch nicht. Ich bin ein Reisender im hohen Norden und es ist gut so. Auch heutzutage ist es nicht einfach, dieses große Land zu Fuß zu überqueren. Es sind so wenige Menschen unterwegs anzutreffen. Fünf Millionen Menschen leben hier auf einer Fläche größer als Deutschland. Und nicht alle Norweger beschäftigen sich mit Capuccino – Zubereitung. Das heißt, man trifft nie auf einen Norweger, der am Waldesrande steht und für einen Pilger wie mich einen heißen Capuccino zubereitet oder einen Orangensaft frisch auspresst. Und wenn man einem willigen gastfreundlichen Menschen begegnet, dann hat er nicht gerade eine gute Kaffeemaschine dabei; eine Orangenpresse selbstverständlich auch nicht. Die meisten Capuccino – Zubereiter sitzen irgendwo in Oslo, Bergen oder in Trondheim. Vielleicht wäre es doch besser als König von Norwegen diesen Pilgerweg zwischen Oslo und Trondheim zu machen; für die richtige Verpflegung wäre gesorgt. Aber was solls, irgendwie geht es auch als Mittelschicht-Pilger. (noch)
2. Etappe: Leirsund – Jessheim (ca. 30 km auf Umwegen)
In der Nacht hat es geregnet. Wir haben aber sehr gut geschlafen und konnten 7:45 loslaufen. Den ganzen Vormittag wollten mich meine Beine nicht tragen. Ich war ziemlich verzweifelt. Wir schwitzten, weil die Sonne brannte. Wir schwitzten, weil es mal durchs Gestrüpp auf dem Feld, mal im dichten Wald ging. Die Etappe war sehr abwechslungsreich, aber mit kleinen Abstechern länger als erwartet. Das erste Café hatte noch zu als wir vorbei kamen; das nächste Café erreichten wir erst nach 12 Uhr. Es war ein Segen. Dann ging es mir fantastisch; ich strotzte vor Energie und der Weg war wunderschön. (Achtung: Auschüttung von Endorphinen nach einer längeren Wanderung) Matthias ging es dann etwas schlechter (eher ein Durchstarter als ein Finischer). Eine Stunde vor unserem Ziel begann es zu regnen. Platzregen. Der Wanderweg stand nach 20 Minuten unter Wasser. Lauter Donner. Ich bekam Angst. Die norwegische Natur gab uns einen kleinen Vorgeschmack darauf, was sie kann. Und ich befürchte, dass dieser Vorgeschmack wirklich harmlos war. Immerhin war es eine richtige Entscheidung, heute ein Hotel zu nehmen. Und letztendlich ist es gar nicht so teuer. 86 Euro für zwei Personen; Abendessen (ja tatsächlich als Überraschungsbonus) und Frühstück inklusive. Morgen lassen wir die Vernunft walten. Wir haben uns nur etwa 13 km vorgenommen, weil wir ahnen, was auf uns dann wartet. Nein, wir ahnen es nicht, wir sehen das auf der Landkarte.