Wir, Maxim Gorki und der See

Heute ist Montag. Wir radelten zu einem nahe gelegenen See. Wir besitzen kein Auto, und deshalb konnten wir auf unserem Weg den Wald und die kleinen Dörfer – am Fuße vom Schwarzwald genießen. Wir haben noch keinen Urlaub, aber montags brauchen wir nicht zu arbeiten. Wir brauchen das Geld nicht, dass andere für den Unterhalt eines Autos Monat für Monat aufbringen müssen. Unser Kühlschrank ist aus; wir essen nur frische Sachen vom Markt; Milch trinken wir nicht. Einen Fernseher haben wir nicht. Wir wundern uns, dass viele Leute ihre Lebenszeit mit Arbeiten verbringen, um sich alle paar Jahre einen noch moderneren und flacheren Fernseher anzuschaffen. Vieles haben wir nicht, weil wir es gar nicht brauchen. Wir brauchen die Sonne, frische Luft und Nahrung, die wir uns teilweise selbst anbauen. Wir brauchen Freundschaften; wir brauchen Bücher. Wir wollen wandern und nicht in der Küche stehen und mit dem neusten Mixer und dem tollsten Zauberstab hantieren. Wir brauchen Musik, die jedoch stets live erklingt; eine tolle CD-Anlage mit riesigen Lautsprechern wollen wir nicht. Wir haben schlicht keine. Je mehr wir in den letzten Jahren unser Leben minimalisierten, desto freier und glücklicher wurden wir. Wir haben mehr Zeit füreinander und mehr Zeit für die anderen. Wir hetzen nicht, wir machen uns Gedanken… Wir arbeiten nicht, weil wie Konfuzius sagte: „Wenn du tust, was du liebst, dann musst du nie wieder arbeiten.“ Das tun wir auch. Wir haben beide Berufe, die wir lieben.
Heute am See, las ich „Meine Universitäten“ von Maxim Gorki. Schon 1922 lehnt Gorki die Art des Fortschritts, der sich damals abzeichnete, ab. Er ahnte, dass die Maschinen, all die Gerätschaften, die uns das Leben leicht machen sollten, unser Verhängnis sein werden. Viele von uns, etwa ein Jahrhundert später, sind stumm gewordene einsame Kreaturen, umgeben von mehreren Elektrogeräten – die nicht für uns arbeiten, sondern wir arbeiten für sie!
„Fortschritt – das ist nur so eine Erfindung, um sich selbst was vorzumachen! Das Leben ist unvernünftig, sinnlos. Ohne Sklaverei gibt es keinen Fortschritt. Wenn sich die Mehrheit nicht der Minderheit unterordnet, kommt die Menschheit auf ihren Pfaden nie weiter. Wir wollen unser Leben, unsere Arbeit erleichtern – und dabei machen wir das Leben nur immer verwickelter und mehren unsere Arbeit. Unsere Fabriken und Maschinen sind nur dazu da, um immer neue Maschinen und immer mehr Maschinen herzustellen! Das ist doch dumm! Die Zahl der Arbeiter vergrößert sich fortgesetzt, notwendig ist aber nur der Bauer, der Brot für uns erzeugt; Brot, weiter brauchen wir der Natur nichts durch Arbeit abzuringen. Je weniger der Mensch braucht, desto glücklicher ist er. Je mehr Wünsche er hat, desto weniger Freiheit hat er.“ (Maxim Gorki: Meine Universitäten)

2 Kommentare

  1. Dein neuer Text gefällt mir wieder sehr gut. Gibt einem zum Nachdenken, was man tatsächlich braucht und was nicht. Bin noch nicht so weit…!?!

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