Die entscheidende Tür

Als er in einer eher kleinen Stadt in der Tschechoslowakei zu studieren begann, war er frei und euphorisch. Die Wende war endgültig vollzogen, die Grenze nach Österreich stand offen, die deutschen Waren strömten aus allen Richtungen der örtlichen Geschäfte. (Damals wusste er nicht, dass es sich bei dieser gewonnenen Freiheit nicht um die europäische Integration handelte. Es ging eher um neue Absatzmärkte der westeuropäischen Konzerne und billige Arbeitskräfte. Auch nach seinem Studium wollte er nicht verstehen, dass es vielleicht falsch ist, in den Westen zu ziehen.)
Seine Studienzeit begann ruhig, geregelt, und da er ein Träumer, und ein Einzelgänger war, ging er oft allein spazieren. Er las viel und verbrachte unzählige schlaflose Nächte an eine einzige Sache denkend: endlich als Lehrer arbeiten zu dürfen. Die Politik interessierte ihn nicht; von der europäischen Politik und von den Schattenseiten des sich ausbreitenden Turbokapitalismus bekam er – in der Lektüre vertieft – nicht viel mit. Er wachte auch nicht auf, als er erfuhr, dass sein Bekannter vor der Mafia floh; sein Leben mit einem Sprung in die Donau rettete. Er wachte auch nicht auf, als er in der Zeitung las, dass ein anderer Bekannter vor seinem Haus in Bratislava erschossen wurde. Er lebte in Stille, in seiner von ihm persönlich kreierten Vorstellung, dass Kapitalismus absolut das Gleiche ist wie die Freiheit und die Gerechtigkeit, wie Kultur und Bildung; er dachte, dass der Westen ein außergewöhnliches Glück bedeutet.
Irgendwann wollte er raus, er träumte zumindest von einem Leben in Bratislava oder Prag. (Die 150 km nach Wien waren damals noch irreweit.) Er sehnte sich nach breiten Boulevards, nach großen Plätzen mit tollen Springbrunnen, nach Sex, nach endlosen Nächten in schicken Clubs, nach Theatern und Musicalvorstellungen und nach Vergnügungshöhlen jeder Art.
Als ihn seine damalige Freundin, die in Bratislava studierte, eingeladen hatte, ein Wochenende in ihrem Studentenheimzimmer zu verbringen, nahm er diese Einladung an. Er blieb einen Monat. Sie gingen in eine Disco, in der gelangweilte Menschen Freude vortäuschten und in der Getränke so viel kosteten, dass ein Student für den Preis eines Martinis einen Monat Studentenheim hätte bezahlen können. Seine Freunde lasen nichts mehr. Noch vor zwei Jahren, als sie mit ihm in einem Elitengymnasium studierten, lasen sie mehr als er. Nun kauften sie sich teuere Kunstbänder mit Impressionisten und stellten sie in ihre Bücherregale. Sie schliefen nicht. Sie rauchten und erzählten ihm, dass es total geil wäre, eine Zigarette zu rauchen und dabei Schokolade zu essen. Sie wurden zu einer vergrauten Masse. Er wollte nicht glauben, dass das Leben in Bratislava so oberflächlich, großkotzig und letztendlich traurig war. Er suchte weiter, er suchte Befriedigung in Sex und Bars, in Galerien und Museen. Er fand nur aus der Lebensbahn geworfene Menschen, Angeber und Heuchler. Er traf viele Möchtegern, Drogenabhängige und Kriminelle.
Er wusste, dass er zurück muss; zurück zu seinen Bücher, zurück zu seinem Traum, Lehrer zu werden. Er nutzte die Gelegenheit, als seine Freundin wieder mal lange schlief, stand auf, packte seine Sachen. Er küsste seine Freundin und flüsterte leise: „Ich hole uns etwas zum Frühstück.“ Er schloss hinter sich die Tür und kam nicht mehr zurück. Er ging, um sein Studium abzuschließen. Er verließ jene oberflächliche Welt der kurzweiligen Befriedigungsmomente. (Er schloss sein Studium erfolgreich ab. Seine Freundin und viele von seinen Freunden scheiterten jedoch in den wilden slowakischen 90er.)
Er ging nach seinem Studium in den Westen, um in einer Sauna und in einem Paketzentrum zu arbeiten. Er las jedoch weiter. Er erreichte seinen Traum. Wo das Glück ist, weiß er jedoch bis heute nicht.

4 Kommentare

  1. Ja, die Menschen haben Angst, sich zu öffnen, Angst vor scheitern, Angst davor, verwundbar, klappt Ihre Tür im Herzen zu. Sie finden keine Befriedigung. Die Angst überdeckt Ihnen die Augen, überschreibt Sauerstoff. Sie sind und nicht Leben, nur existieren und haben Angst zu verlieren, was sie gar nicht haben.
    Ich will eine Geschichte erzählen, die meine Oma mir entdeckte, darüber, wie die Liebe ändert einen Menschen:

    Was meine Großmutter erzählte, leben im meinen Herz. Das sind bunte, berührende, zart Gefühle in mir angesiedelt, seitdem ich ihn traf. Sie sah diesen Traum zum ersten mal, wir hörten Ihr wie bezaubert und Gefühle übergossen uns mit der Tränenflüssigkeit, wir wussten, dass es Liebe ist. Sie erzählte mir viele Geschichten, aber keiner ähnlich und keiner berührt unser Herz wie dieses. Liebe ist alles im unseren Leben, ohne sie keine Leben ist und wer erlebt es einmal und egal in welchem Alter, der in seinem Leben malen erwirbt. Trotz der Tatsache, dass Sie 88 Jahre alt ist, die wie neu geboren, war etwas sich in ihrem Gang und Gesichtsausdruck verändert, ihre Wangen gerötet. Sie ist erblüht, schöner Großmutter traf ich nie! Und im diese moment habe ich verstehe, dass sie wirklich verliebt, und spielt es keine Rolle, dass der Mann auf dem sie tiefste Liebe erlebt nur in ihr Traum leben. Vielleicht ist dieser Mann für sie viele Leben wartete, vielleicht immer, und eines Tages treffen sie sich und werden in Wirklichkeit miteinander verschmelzen. Ja, vielleicht wird dieses treffen nicht im diesen Leben, aber so erlebte sie etwas im Traum, das nie voher erlebt und in der Realität glücklich geworden. Sie warf einen Blick auf das Leben anders und ganz innerlich verändert Sie öffnete im sich die Frau, deren Existenz keine Ahnung hatte.
    Glück ist dort, wo die Liebe ist, ohne sie sind wir nichts, eine Reihe von Elementen. Sie verbindet uns

    Danke Martin für alles
    Liebe Küsse

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