Die vertagte Revolution auf Madeira

Eigentlich flog ich nach Madeira, um eine neue, nie dagewesene linke Revolution der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu planen. Es sollte eine werden, die zuerst ganz Madeira von meinen Ideen überzeugen würde und von hier aus, hatte ich zumindest vor, diese neue Lebensweise und Lebensfreude der Menschheit auf den ganzen europäischen Kontinent zu tragen. Das Kapital von Marx brachte ich selbstverständlich mit als Grundlage für den Kampf gegen die Ausbeutung. Auch alle biographischen Werke von Zweig über Maria Stuart, Marie Antoinette und Joseph Fouché wollte ich auf dieser stillen Insel mitten im Atlantik lesen. Ich begann mit der Lektüre Magellan, der Mann und seine Tat, ebenfalls von Zweig, um meine Horizonte zu erweitern, um den Ozean besser zu verstehen und vor allem, um aus der Neugier und Willenskraft von Magellan Inspiration zu schöpfen.
Ich wollte schreiben. Ich hatte vor, die entscheidende Schrift für meine Revolution zu verfassen. Es kam jedoch alles anders. Kaum, dass ich die ersten Seiten über Magellan las, schaute ich in die Ferne auf den blauen Ozean und die grünen Berge von Madeira und vergaß meine Revolution. Wie oft scheiterten die Revolutionen, bevor sie überhaupt ins Rollen kamen. Mal wegen einer Frau, mal durchkreuzte der unerwartete Tod die Pläne der Revolutionäre und die Revolution an sich blieb nur ein bloßer blasser Gedanke, schwebend noch irgendwo in einer Kneipe der dritten Kategorie oder in einem zerwühlten Bett, riechend nach Schweiß und Sperma. Meine vorerst gescheiterte Revolution endete viel schöner und poetischer. Sie verlor sich im Blau des Wassers, verflog auf den windigen Gipfeln der Berge, tauchte in die Blumenkelche ein, die sich schlossen und meine revolutionären Gedanken verbargen. Ich begann zu wandern, anstatt viel zu lesen. Steil und mühsam sind die Wege zu den Schönheiten der Insel. Jetzt bin ich auf dem Höhepunkt meiner Kräfte, dachte ich. Die Revolution, oder gleich mehrere davon, kann ich auch später planen und durchführen, wenn ich alt bin und die steilen Berge nicht mehr besteigen kann. Jetzt stehe ich auf dem Gipfel der Ponta de São Laurenço und schaue auf mehrere kleine unbewohnte Inseln. Sie liegen dort so friedlich und sie bezaubern mich. Tausende Blumen säumen meine Wege, die Beine tragen mich noch gut. Ich lebe jetzt und reife für meine Revolution, die mir im Kopf herumschwirrt. Im 15. Jahrhundert entdeckten die Portugiesen Madeira und die Azoren. Alles ist längst entdeckt, längst bekannt. Nur ich laufe noch weiter auf dieser Welt, auf dieser kleinen Insel, um einen Ort zu entdecken, an dem die Ideale der Menschheit wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gelebt werden oder gelebt werden könnten.

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