Die bunten Türen der Freiheit

Auf der Plaça de São Tiago in Funchal scheint die Sonne. Windstille. Ich genieße einen Kaffee und lese von den Heldentaten Magellans. Ich wusste genau, dass ich irgendwann von einem Ausstieg aus unserer Gesellschaft zu träumen beginne. Immer wenn ich mich auf einer Insel befinde, besuchen mich diese Tagträume. Bevor ich mich in das gemütliche Straßencafé gesetzt hatte, sah ich viele bunt bemalte Türen, die mir meine Fantasiewelten lebendiger machten. Ich bin traurig, dass mir mein gesellschaftlicher Ausstieg nie gelingen wird. Nie werde ich halbnackt aus meinem kleinen Häuschen in den Garten treten und nie werde ich ausschließlich von der Arbeit meiner Hände leben können. Als Trost bleibt mir nur mein kleiner Garten in meinem kalten Land, der mir spärlich ein wenig Gemüse und Obst schenkt. Ich träume von einem Ausstieg und lese mit Begeisterung über den vielleicht ersten Mann, der sein altes Leben aufgab, der rechtzeitig erkannte, dass es auch ein anderes Leben gibt. Er besaß genug Kraft und genug Verstand, und verwirklichte das, wovon ich träume. Man schrieb ungefähr das Jahr 1511, als sich der portugiesische Kapitän Francisco Serrão entschied, nicht mehr nach Portugal zurückzukehren. Er verweigerte den königlich portugiesischen Kriegsdienst und er blieb auf einer der indonesischen Sunda-Inseln für immer.

“Und mit einemmal wird es ihm höchst gleichgültig, ob irgendwo viele tausend Meilen weit im Palast von Lissabon ein König murrt oder knurrt und ihn aus der Liste seiner Kapitäne oder Pensionäre streicht. Er weiß, er hat genug für Portugal getan, oft genug seine Haut zu Markt getragen.” (S. Zweig: Magellan, Fischer 2014, S. 55.)

Heutzutage würde niemand murren und knurren, stiege ich aus. Vielleicht würde der Blumenhändler meiner Stadt die Einnahmen von mir vermissen. Ich bin ersetzbar auch in meiner Schule, obwohl ich meinen Beruf mit vollem Einsatz des Herzens ausübe und geliebt werde. Ich würde dann einfach nicht mehr meine Haut zu dem Erwerbsmarkt tragen. Ich würde mein Wissen aus der Ferne teilen, ich wäre ein Held und würde viele Menschen zum Träumen bringen. Ich wäre frei und wäre ein Vorbild für viele Menschen, die ihre Tage bis zur Rente zählen. Ich wäre der, der ich sein will.

“Nun möchte er, Francisco Serrão, endlich einmal anfangen, das Leben dieses Francisco Serrão ebenso behaglich und unbekümmert zu genießen wie alle die andern kleiderlosen und sorglosen Menschen auf diesen seligen Eilanden. Mögen die andern Matrosen und Kapitäne weiter die Meere pflügen, Pfeffer und Zimt für fremde Makler mit ihrem Blut und Schweiß erkaufen, mögen sie weiter als loyale Narren in Gefahren und Schlachten roboten, nur damit die Alfanda von Lissabon mehr Zölle in die Kassen kriege…” (ebd.)

Ich laufe durch die Straßen von Funchal und sehe mir die bunt angemalten Türen an. Wenn ich nur die Richtige, die zu meinem Ausstieg führt, finden würde. Viele Träume und Sehnsüchte malte man an diese Türen. Wie schön und viel zu einfach wäre das, durch eine der Türen zu gehen und man hätte plötzlich ein anderes Leben. Wie lange kann ich noch auf die richtige Tür warten? Noch ist aber nichts verloren. Im Leben eines Menschen gibt es unzählige Türen in die Freiheit. Ich will aber noch, bevor ich die letzte Tür betreten werde, die eine einzige in die Freiheit finden. Die Tür, das Schiff, das Meer und die Insel von Francisco Serrão will ich suchen.

“Ohne große Feierlichkeit rückt der tapfere Kapitän aus der heroischen Welt ab in die idyllische und beschließt, fortan auf die ganz primitive, herrlich träge Weise dieses freundlichen Völkchens privatissime zu leben. (ebd.)

Das milde Klima dieser Insel beflügelt immer mehr meine Fantasie. Ich denke an die vielen exotischen Früchte, die ich ernten könnte. Ich denke an das stresslose Leben, das ich leben könnte, hätte ich nur ein wenig Mut von Francisco Serrão.

“Neun Jahre bis zu seinem Tode hat dieser freiwillige Robinson, dieser erste Kulturflüchtling, die Sunda-Inseln nicht mehr verlassen, von allen Konquistadoren und Capitanos der portugiesischen Heldenzeit nicht gerade der heroischste, aber wahrscheinlich der klügste und auch der glücklichste.” (ebd. S. 56.)

Ich bin nur ein armer Zwei-Wochen-Madeira-Flüchtling, aber reicher, weil ich viele bunte Türen sah und die Tür in mir entdeckte, die ich eines Tages öffnen werde und dann werde ich schreiten und höre nie auf, weiter zu schreiten, bis ich zu meiner Insel der Freiheit gelange.

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