Schon aus der Entfernung sah er einen obdachlosen Mann, der vor dem Supermarkt in der Nähe seiner Wohnung saß. Dieser Mann war ihm noch unbekannt. Er saß ganz ruhig im Lotussitz neben seinem schwarzen Hund. Er kam immer näher, immer langsamer und beobachtete dabei, dass zwei Menschen, die aus dem Supermarkt rauskamen, diesem Mann eine Münze gaben. Jener Mann bedankte sich mit einer höflichen Geste. Er näherte sich immer mehr und nahm sich fest vor, diesem Mann auch etwas Geld nach dem Einkauf zuzustecken. An der Kasse kaufte er sich ein Eis und nahm gleich zwei mit. Ein Eis für den Obdachlosen, war seine spontane Idee. Es war so heiß da draußen und er dachte, er würde dem Mann Freude machen. Er kam auf ihn zu, gab ihm das Eis mit den Worten: “Es ist so heiß, vielleicht ist dieses Eis das Richtige für dich.” Der Mann auf der Straße schaute ihn an, sagte ganz überrascht: “Oooh, danke sehr.” Dann begannen aus seinen Augen Tränen zu fließen, er schaute, schon weinend vor Glück, den Hund an und sagte zu dem Hund: “Schau mal, was wir bekommen haben, ein Eis!”
Er ging nach Hause, traurig wegen des Zustandes der Gesellschaft und glücklich von seinem bescheidenen Wohlstand zu geteilt zu haben. Glücklich gelernt zu haben, zu teilen.
Er wandert am Rhein Richtung Straßburg. Kleine Dörfer lässt er hinter sich zurück. Er sieht fünf große Flächen, die wieder aufgeforstet wurden. Drei von ihnen liegen am französischen und zwei am deutschen Ufer des Rheins. Die Hoffnung steigt in ihm auf. Die aus dem Takt geratene Umwelt wird wieder hergestellt. An der Uni interessierte er sich für Kulturökologie, die sich unter anderem mit dem Thema befasste, dass eine gesunde Gesellschaft stark von einer gesunden Umwelt abhängt. In Straßburg wartet auf ihn das gleiche Bild, das er schon aus Köln kennt. Schicke Lokale, prächtige Straßen und in jeder von diesen Straßen ein Verlierer dieser heutigen Gesellschaft, vergessen, ausgestoßen, hilflos.
Wieder in Köln sitzt er dann in seiner großen Wohnung, mit seiner Krankenversicherung, mit seinem geregelten Leben. Mal verzweifelt und verärgert über die gesellschaftliche Misere, mal glücklich und dankbar für seinen bescheidenen Wohlstand.
Heutzutage ist jeder Mensch, egal ob reich oder arm, verantwortlich für seine Mitmenschen. Heutzutage genügt es nicht, nach Regeln zu leben und zu den Mitmenschen höflich zu sein. Heutzutage kann man sich nicht mit einer Überweisung eines kleinen Betrags an eine der vielen Hilfsorganisationen aus dieser Verantwortung freikaufen. Heutzutage ist jeder, der eine Wohnung hat, der genug zum Essen hat, direkt verantwortlich für seine Mitmenschen, für seine Umgebung und für die Menschen, denen er begegnet auf seinen Wegen – für die Menschen, die auf den Straßen sitzen oder liegen. Jeder von uns ist für unsere Umwelt verantwortlich, weil unsere Umwelt sich auf unsere Gesellschaft auswirkt.
Er startete eine neue Umweltaktion, nachdem der amerikanische Präsident den Klimavertrag von Paris gekündigt hatte. Seitdem pflanzte er mit seinen Freunden aus der Gemeinde drei Bäume und drei Rhododendronbüsche. Die Aktion geht weiter, weil er und seine Freunde die Verantwortung für die Umwelt tragen. Sie sind gesund, wohlhabend, gebildet und verfügen über genügend Freizeit. Niemand darf sich heute ausreden, das kann ich nicht, dafür habe ich keine Zeit, ich habe keine Lust dazu oder ich muss viel arbeiten und vielleicht später. Wir sind für diese Gesellschaft verantwortlich, wir sind direkt verantwortlich für ihre Entwicklung. Und ja!, drei neue Bäume und drei Rhododendronbüsche können wohl die Welt verändern, verbessern und heilen. Und eine Bienenwiese kann es auch. Und ein Gespräch mit einem Obdachlosen und ein bloßes Nachfragen nach seinen Bedürfnissen können es auch. Weniger Auto fahren, weniger fliegen und weniger Energie im Haushalt verbrauchen können es auch. Den Menschen auf der Straße zuhören, ihnen Kleidung und Essen schenken verändern nicht nur die Welt, sondern dich auch.
Wir haben in Europa wieder die Angst, dass die extrem Rechten an die Macht kommen könnten. Tun wir nichts, und erlauben dem Neoliberalismus freie Fahrt und eine weitere Entfaltung, gewinnen eines Tages die Rechten. Dann, nicht mehr so jung, wird man ihn aus seiner Wohnung zerren und als homosexuellen Kommunisten mit Migrationshintergrund auffordern, sich auf die Straße zu legen. Und sie werden ihm eine Kugel in den Kopf jagen. Und alle werden schweigen, aus Angst vor dem rechten Terror.
Jetzt sind wir noch frei, wohlhabend, versichert und gebildet. Jetzt haben wir die Möglichkeit zu handeln. Jetzt haben wir noch die Möglichkeit unsere Umwelt zu reparieren, unsere zerbrochenen gesellschaftlichen Strukturen wieder zu erneuern. Ja, mit einem Baum, mit einem bloßen freundlichen Wort mit einem von den vielen Verlierern in unserer Gesellschaft, mit einer Münze oder mit einem Eis an diesen heißen Tage und mit dem Überwinden des inneren Schweinehundes in uns – einfach beginnen etwas zu bewegen, mehr lesen, um besser und klüger handeln zu können.
Wir bekamen eine Erde als Geschenk, wir bekamen ein Leben und weinen nicht vor Glück. Dieser eine Mann bekam nur ein Eis und weinte und sagte zu seinem besten Freund überglücklich, mit tränenden Augen: “Schau mal, was wir bekommen haben, ein Eis.”
Danke
LikeGefällt 1 Person
Hat dies auf Die Aufwachgrippe sammelt und teilt.. rebloggt.
LikeGefällt 1 Person
❤ ❤ ❤ DANKE
LikeGefällt 1 Person
Manchmal sind es die kleinen Dinge, die die Welt verändern können. Höre nicht auf und schreibe weiter.
Eine treue Leserin.
LikeGefällt 1 Person