Ein Mann, der Dreck und die Flügel

Das größte Problem meines Lebens liegt darin, dass ich mit zwei Flügeln geboren bin; genauso wie schon meine Mutter zwei Flügel hatte. Mein Vater hatte allerdings keine. Das ist ziemlich tragisch, fliegen zu können. Wie viele Male bin ich schon aus der Höhe meines Fluges abgestürzt. Dann lag ich Tage auf dem Boden und konnte nicht aufstehen. Irgendwann gelang es mir dann doch und kaum, dass ich stand, flog ich einfach wieder hoch in den Himmel.

Ich spüle gerade den Dreck aus meinem Körper mit Sauerkrautsaft raus und mit ein paar guten Taten. Es muss alles raus. Alles, was mich am Denken hindert. Ich kann nicht mehr klar denken und schlafen konnte ich noch nie. Die meisten Tage meines Lebens verbrachte ich mit Fliegen und wenn ich zu fliegen nicht fähig war, half ich mir stets mit Alkohol, Drogen und verschiedenen Tabletten aus. Dann flog ich trügerisch hoch und fiel hart auf den Boden.

Ich weiß nicht, ob jene Frau, der ich heute eine Zwei-Euro-Münze in die Hand gedrückt hatte, je fliegen konnte. Auf jeden Fall konnte sie nun nicht fliegen. Ihr Körper war bereits in jenem Stadium des Zerfalls, aus dem kaum eine Rückkehr möglich ist. Und es fehlte ihr der Wille, etwas zu ändern. Sie gab sich auf, obwohl sie noch jung war. Ich, der Meister der Höhenflüge, sah mich in dieser Frau und jetzt kippe ich literweise Sauerkrautsaft in mich, um nicht bald an jenem Punkt anzukommen, von dem es kein zurück gibt. Ich muss meinen Kopf frei bekommen, ich will zum Ausgangspunkt meines Ichs zurückkehren. Wo liegt aber dieser Punkt? Wann überschritt ich die Grenzen des natürlichen wahren Ichs? Warum folge ich nicht meinem Herzen?

Heute wurde ich gefragt, ob ich glücklich sei. Ohne zu denken, beantwortete ich die Frage mit einem klaren Nein. Folge dem Ruf deines Herzen, sagte eine junge Schülerin. Ich stand auf und spielte einen Weggang. An der Tür angekommen, kehrte ich um und setzte mich an meinen Lehrertisch wieder und sagte: “Wenn ich meinem Herzen folgen würde, würde ich sofort aufstehen und gehen. Weiter sprachen wir nicht darüber, weil ich nicht wusste, was ich sagen soll.

Ich könnte wegfliegen; einfach dem Herz folgen, zum x-ten Mal. Ich kann immer noch fliegen, auch wenn meine kleinen Flüge immer ängstlicher werden. Ich habe aber Angst, dass ich wieder fallen könnte. Ich kenne meine Aufbrüche; ich kenne mich. Zu bleiben, ist auch keine Lösung. Ich muss zuerst klar denken. Der Sauerkrautsaft wirkt noch nicht. Der ganze Dreck ist in mir: alte Geschichten, alte Ängste, Gedanken aus gefühlt von Millionen schlaflosen Nächten abgelagert in mir und jede Menge Chemikalien. Alle gewollt oder ungewollt aufgenommen.

Nun sitze ich da, kratze mir meine Flügel wund und zögere, sie für einen neuen Flug zu benutzen. Heute weiß ich, dass der ganze Dreck zuerst raus muss. Und dann fliege ich bestimmt weg und werde meinem Herzen folgen.

Ein Kommentar

  1. ich finde es toll, dass du nun den jakobsweg gehst. irgendwann möchte ich das auch machen. ich finde es schön, dass du einen blick auch für andere hast, obwohl es dir selbst grad nicht gut geht. und klasse, dass du gleich zur tat geschritten bist mit dem sauerkrautsaft und auf dich achtest. ich glaube, dass eine gute ernährung hilfreich ist. das, in dem viel leben ist, viel sonne, obst und gemüse zu sich nehmen, das stärkt auch von innen. und viel wasser trinken. das sind zumindest die dinge, die ich tue, um mir gut zu tun. und mich bewegen, das hilft und stärkt. ich wünsche dir einen guten tag.

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