Nachdem sie in der kleinen Hütte im Wald aufgestanden waren, mussten sie sich mit einem sehr dürftigen Frühstück begnügen und auf den Kaffee verzichten. Sie zogen sich ungeduscht an, da sie keine Lust hatten, sich in dem feuchten Wald mit einem Eimer Bachwasser zu übergießen. Als sie die Waldhütte verließen, merkten sie sofort, dass über ihnen fünf norwegische Geier (lat. alietum norvegianis) kreisten, obwohl diese großen Vögel normalerweise bei Regenwetter versteckt in den Felsenhöhlen ausharren. Die Pilger machten sich noch keine großen Sorgen um die Anwesenheit dieser Aasfresser. Sie dachten, dass diese mit den zwei übriggeblieben Würsten in ihren Rucksäcken und der vom Kaminofen stinkenden Kleidung zu erklären sei.
Je länder sie liefen, desto schwerer wurden ihre Beine. Die nasse Kleidung klebte an ihren Körpern. Ihre Laune und Wanderlust sank in unermäßliche Tiefe. Ihre Kräfte schwanden nach und nach. Sie setzten sich bei jeder Gelegenheit auf das nasse Unterholz; sie wollte schon das Zelt mitten im Wald aufschlagen, aber sie wussten, dass sie weiter laufen müssen, weil die Geier immer lautere Schreie ausstießen und ihre bohrenden Augen jede Bewegung der Pilger beobachteten. Als sich die zwei Pilger wieder mal hinsetzten, um die zwei restlichen Würste zu essen, flogen die fünf stattlichen Vögel in ihre Richtung und setzten sich auf einen Baum ganz in der Nähe der Pilger. Sie wagten jedoch keinen Angriff. Die größte Stärke eines Geiers ist bekanntlich nicht seine Angriffslust, auch nicht die Kraft seiner Krallen, sondern die Geduld.
Die Pilger standen wenig gesättigt wieder auf und suchten den kürzesten Pfad, der sie aus diesem dunklen, unendlich langen Wald herausführen würde. In durchnässten Schuhen liefen sie äußerst langsam auf Bamwurzeln, Steinen und bewältigten nur mit Mühe jeden Meter auf dem sumpfigen Boden. Die Angst, auf dem Boden liegen zu bleiben und von diesen großen Vögeln zerhackt zu werden, trieb sie an, so schnell wie möglich zumindest einen Bauerhof zu erreichen. (Dort steht selbstverständlich ein junger Bauer mit einer Profi-Kaffee-Maschine lächelnd rufend: „Hi, vil dere ha en kaffe?“. Wir antworten einstimmig: „Ja, tusen takk.“ Und dann würden wir an dem Kaffee so lange rumschlürfen, bis sich die Geier verzogen haben. Wieder mal dumm gelaufen – für die Geier!)
Die Geschichte geht aber anders aus. Die zwei Pilger erreichten nach 25 km den kleinen Ort Tangen. (Die Geier übrigens auch.) Überglücklich erblickten sie den kleinen Bahnhof und stellten fest, dass bald ein Zug Richtung Hamar fahren würde. Und tatsächlich; der Zug rollt langsam an; die Pilger steigen ein; und als sich die Tür des Zuges hinter ihnen schließt, hören sie nur noch das müde Kreischen der ziemlich unbefriedigten Geier. (Ziemlich zerfleddert sahen sie aus – die Geier am Bahnsteig.)
5. Etappe: Die Hütte im Wald – Tangen (ca. 25 km, gefühlte 120 km)
Wir schleppten uns heute lustlos durch den nassen Wald. Kein Café im Wald, obwohl man, meiner Meinung nach, vom Wald ein Café erwarten könnte. Nichts war aber da und wir mussten durch. In Tangen gab es auch nichts, also haben wir entschieden, mit dem Zug nach Hamar zu fahren. (Damit haben wir eine Etappe von 32 km überspungen). Wir bleiben jetzt zwei Tage hier, um unsere Kleidung zu waschen und vor allem zu trocknen, und unsere echt geschundeten Körper ein wenig zu regenerieren. Wir haben nun die Zeit, uns neu zu sammeln und uns neu auszurichten. Dann geht es weiter in zwei sehr langen Etappen nach Lillehamer.