Die norwegische Kirche

Der Pilger gibt alles von sich. Er übersteigt sogar die Baumgrenze im Nationalpark Dovrefjell und läuft stundenlang auf moosbewachsenen Wegen, die sich vom leichten Nieselregen aufsaugen. (Achtung: matschiger Boden und nasse Schuhe stundenlang) Nach etwa neun Stunden sieht er sie dann. Am Horizont schimmert ihr Türmchen leicht rötlich im fahlen Sonnenschein. Die Spitze des Türmchens wird er ab nun stets im Blick behalten, denn dort, bei ihr und in ihr wird er die langersehnte Ruhe zur Andacht finden – eine geistige und körperliche Stärkung. Vielleicht erwartet ihn auch ein freundliches Lächeln eines Menschen und gewisse Nähe zu Gott. Und dann sieht er immer mehr; unter dem Türmchen sind klar die Umrisse des Gebäudes zu erkennen; welche Form sie genau haben, kann der Pilger noch nicht erkennen. Er freut sich nur wahnsinnig darauf, auf einem der Bänkchen zu sitzen, zu meditieren und Gott dafür zu danken, dass er so viele Stunden laufen und das Wunder der Schöpfung genießen konnte. Und dann ist der Traum wahr. Er kommt an und tritt ein. Sie ist nun für ihn da: seine geliebte Tankstelle. Hier findet er alles, was die norwegische Kirche nicht bietet. Zuallererst finder der Pilger eine geöffnete Tür. Dann kann er ein Lächeln eines Mitarbeiters genießen. Und schließlich die langersehnte Rast mit Kaffe und einem belegten Brötchen. Die norwegische Kirche als Institution befindet sich anscheinend in einem dramatischen Verfallprozess. Die Kirchen sind geschlossen und bieten, hier auf dem Olavsweg, den Pilgern keinerlei Stütze. Eine geschlosse Kirche für Pilger und für Menschen vor Ort ist ein Zeichen des Niedergangs. Es ist sehr traurig, dass der Pilger auf die Tankstellen von mächtigen Konzernen als Wegbegleiter angewiesen ist und hier seine geistigen und körperlichen Bedürfnisse befriedigen muss und darf. Die norwegischen Kirchen, verrammelt und abweisend – ein trauriges Zeichen ihres endgültigen Endes. Nun erscheinen mir die zwei häßliche Kirchen meiner Heimatgemeinde in Karlsruhe Oberreut und in Grünwinkel wie Perlen, wobei die St. Josef Kirche in Grünwinkel überhaupt das Häßlichste ist, was je eine menschliche Hand (und Geist) erschufen. Auch die zwei Kirchen in Karlsruhe Daxlanden – die katzengraue düstere Hl. Geist Kirche und die halb zerfallene Valentinskirche kann ich nun in einem anderen Licht sehen. Alle vier Kirchen meiner Gemeinde, trotz ihrer häßlichen Umgebung, stehen noch besser da, als ihre norwegischen Kolleginnen. Sie sind immer noch weltoffen. Häßlich wie ein Gespenst, aber der Mensch darf noch rein. (Nicht immer wohl gemerkt – die bröckelnde St. Valentin Kirche ist auch nur bei Veranstaltungen geöffnet.)

Etappe 14: Engelshus – Furuhaugli Turisthytter (29 km)

Wir stehen wirklich vor geschlossenen Kirchen. Nun ja. Wir liefen heute über der Baumgrenze im Dovrefjell Nationalpark. Die Hoffnung auf ein kulinarisches Ende der Etappe ging mit jedem Kilometer flöten. Es kam – Gott sei Dank – anders. Eine toll eingerichte Hütte und ein Restaurant mit gutem Essen. Woher sie das Essen herhaben, ist mir ein Rätsel. Ich war nicht so gut drauf heute. Es regnete leicht und es war alles grau. Trotzdem war diese Etappe unvergesslich. Auch diese Einöde hat ihren Charme.

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