Ich fühle mich heute müde und muss trotzdem weiter laufen. Die Melancholie klofpt an meine Seele und ich muss sie mit Heiterkeit bekämpfen. Heute kann ich keinen Höhepunkt auf diesem Pilgerweg finden, ich möchte nur noch in das gebuchte Zimmer. Die zwei Kirchen, an denen ich vorbei laufe, sind verschlossen und somit stehen sie mir eher im Weg, anstatt mich zu begleiten und mir neue Kräfte zu geben. Ich versuche zu singen, aber die Stimme versagt mir aufgrund der Anstregung die ich auf diesem Weg aufbringen muss. Ich bin nur noch zufrieden, zum Glücklichsein ist es heute einfach zu weit. Ich komme zu einer Gaststätte. „Leider geschlossen, wir öffnen erst um 13 Uhr.“, ruft ein Mann. Drei Stunden kann ich auf einen Kaffee nicht warten. Ich nehme meinen Rucksack und will schon weiter laufen, als der Mann sagt, dass ich einen Kaffee bekommen kann. Und dann brüht er frisch einen Kaffee auf und wir kommen ins Gespräch. Er erzählt von seiner Heimat Kurdistan und seinem Leben in Wien und später hier in Norwegen. Er will für den Kaffee kein Geld annehmen. Er ist glücklich, etwas Gutes tun zu können und froh, für einen Augenblick einen Gesprächspartner zu haben. Ich, gestärkt von einer kurzen Kaffeepause und dieser netten Begegnung, kann weiter laufen. Ich kann jetzt auch besser singen. Es ist nicht mehr so weit bis zum Hotel. Ich komme an. Ich werde auf Englisch begrüßt und ich denke – oh je! Aber dann, als die nette Hotelinhaberin merkt, dass ich mich bemühe, Norwegisch zu sprechen, geht sie auf mich ein, sie wechselt die Sprache und spricht langsamer und deutlicher mit mir ihre Muttersprache. Zwei kleine Begegnungen auf dem Weg – die Höhepunkte des Pilgers. Ich ruhe mich aus. Morgen laufe ich ans Meer. Der Trondheimfjord wartet kalt und nass auf mich. Ich brauche Kräfte, um in ihm zumindest eine angedeutete Schönheit entdecken zu können. Das wäre ein wahres Kunsstück, sollte es mir gelingen. Ich muss es aber nicht aus eigener Kraft schaffen. Auf einem Pilgerweg kann schon eine kleine nette Begegnug Wunder vollbringen.
Etappe 19: Løkken Verk – Fannrem (20 km)
Heute war unsere Etappe etwas kürzer. Wir haben ein wenig den Olavsweg verlassen, und sind Richtung Norden, anstatt in östliche Richtung gelaufen, um eine gemütliche Unterkunft genießen zu können. Wir freuen uns auf das Abendessen, wenn schon das Frühstück aus der Sparte „work and eat“ ist. Das Restaurant ist liebevoll eingerichtet, also es kann ein gemütlicher Abend werden. Morgen kommen wir dann auf den Olavsweg zurück und es geht an den Strand: Palmen, azurblaues Wasser, frischgepresster Orangensaft in der einen und ein Mojito in der anderen Hand. Liegestühle und Sonnenschirme gratis und am Horizont glühende Sonne. Und auf dem weißen Sand tausende bunte Muscheln – keine einzige ordinäre moosbewachsene Miesmuschel weit und breit.