Auf meinem Mantarochen

Mein kleines Dorf im Nordschwarzwald ähnelt einem Mantarochen, der sich mit einer besonderen Leichtigkeit auf unsere Hochebene niederlegt, um sich kurz auszuruhen, bevor er weiter durch das warme Meereswasser zu seinem eleganten Gleiten übergeht. Es herrscht überall eine friedliche Stille, die nur durch den leichten Wind, wie er dieser Hochebenen eigen ist, zu einer nach Ruhe schreienden Harmonie strebt. Ich – obendrauf – mal schwebend auf dem Rücken des Mantarochens, mal schreitend auf den Wiesen der Hochebene, Wasser trinkend aus der letzten sauberen Quelle, tief atmend und weit schauend bis zur Hornisgrinde, bis zu den Vogesen – beobachtend die diesige schmutzige Luft über der Rheinebene.


Ich flüchtete. Ich schloss das Tor meines Gartens auf Ewigkeit, gab meinen Schlüssel zurück und begab mich auf einen Weg, der mich aus der Stadt, der mich aus der Gesellschaft hoch hinausführte – in die Stille, in den Duft der Wälder hinein und zur Frische des rinnenden Wassers. Alt bin ich geworden dort unten. Zu staubig und zu zerfallen kam mir die Stadt vor. Der Staub und die Zeichen des Verfalls legten sich auf mich. Ich fühlte mich fremd unter den Menschen mit ihren leeren Worten und ihrer fortdauernden Hetzjagd nach Selbstverwirklichung.
Ich wäre hier auch jünger und stärker geworden, wäre da nicht die erzwungene mediale Möglichkeit geblieben, immer wieder nach unten zu schauen – zurück in die Vergangenheit und zurück zu den gesellschaftlichen Verwerfungen der letzten Zeit.


Man jagt mich von dort unten – hier oben versuche ich mich dem zu entziehen, laufe auf die Spitze des Berges, immer weiter – weg von den drohenden Stimmen, die den Begriff Solidarität auf ein einziges Element schrumpfen ließen. Kaum gewählt, wurden sie bösartig. Sie saßen mit viel Abstand an einem langen Tisch und verkündeten ihre Repressalien, wissend, dass man sie hasst, aber auch wissend, dass sie ihre Macht für jeden erdenklichen Preis erhalten müssen. (Sie liefen bereits über die Leichen!) Auch hier oben – egal, ob ich auf dem Rücken des Mantarochens schwebe, oder auf den Wiesen schreite, habe ich Angst vor ihren Stimmen. Ich habe Angst vor ihren bösartigen besserwisserischen Köpfen, die versuchen, aus Berlin aus und aus unseren Landeshauptstädten auch unsere Täler, unsere Bäche und unsere Hochebene in ein Land, indem wir dann eines Tages ungern leben, zu verwandeln.


Ich trinke Wasser aus der letzten sauberen Quelle, um noch weiter im Schatten des Waldes laufen zu können. Woanders fallen die ersten Bomben, die die Welt und die Menschen – in unserer globalen Welt durch ein schäbiges bipolares Denken in das Gute und in das Schlechte aufteilen. Das Denken und das Zweifeln gibt es nicht mehr. Ausgeschaltet – zunächst erdrückt und ausgebremst durch die Universitäten, dann verschmutzt und getreten durch die Medien und schließlich ausgeschaltet durch die Gesellschaft – durch uns selbst – alles auf Befehl aus Berlin.


Die, die früher nach dem Frieden schrien und die, die sich schon immer Demokraten nannten, liefern jetzt Waffen in die ganze Welt – vom Jahr zu Jahr mehr. Sie produzieren immer neue Waffen, die sie selbst kaufen und verkaufen. Und was machen die Waffen? Nein, sie schweigen nicht, denn das liegt nicht in ihrer Natur. Sie rollen und fliegen und explodieren. Sie verletzten den einen und töten den anderen. Diese Waffen haben nichts anders gelernt als Waffen zu sein. Und die Damen und Herren haben auch nichts gelernt als Damen und Herren zu sein. Mehr war in der Geschichte leider nicht – und mehr aus der Geschichte lernte man auch nicht. Nur der Haken an der Geschichte ist, dass eine Dame und ein Herr verhalten sich so nicht!
Diese Waffen töten mich nicht. Noch nicht! Sie verletzten aber meine Würde als Mensch. Sie bringen mich nicht jetzt sofort um, aber sie bringen mich nach und nach um. Sie zerstören meinen Mantarochen und sie sind präsent auch auf meinen Wiesen.


Was habt ihr der Menschheit angetan? Ja, ihr alle dort an der Macht. Kein einziger soll sich als der Bessere bezeichnen! Ihr Vokabular, ihre Worte und ihre Taten sprengten alles bis jetzt Vorstellbare. Ihr habt uns belogen und betrogen. Ihr habt uns mit eurem Streben nach Anerkennung und Macht vergewaltigt. Ihr habt uns Träume genommen, uns gebrochen und versklavt. Ihr habt unsere Gesellschaft in einer globalen Welt durch euer bipolares Denken in den Abgrund gezogen.


Ich laufe weiter auf meinen Wiesen. Ich muss weiter laufen. Unerreichbar will ich werden. Ich will ein wenig Frieden in meinen Tälern, an meinen Bächen, auf meinen Bergen. Ich will dem Frieden lauschen im warmen Wind unserer Hochebene. Ich will mit allen Menschen aus unserer letzten sauberen Quelle trinken. Ich will hier oben frei atmen dürfen und ich will auf meinem Mantarochen ganz unbekümmert gleiten dürfen. Dazu ist aber eins notwendig!: Ihr! Lasst mich das auch tun. Ihr! Kehrt wieder zu einer humanen Politik zurück. Ihr! Beginnt in einer globalen Welt auch global zu denken.


Heute Abend schaue ich nicht mehr nach unten. Heute Abend liege ich ruhig auf meinem Mantarochen und träume von einer besseren Welt. Heute Abend gleitet mein Dorf in ein Land, in dem alle Menschen gerne leben.

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